Donnerstag, 5. Juli 2007

Per Du mit the Ghost Knife – Robin Meier in Nizza

«Was ich meine, wenn ich Rhythmus sage? Rhythmus bedeutet bei mir einen Maschinen-Rhythmus, nur Drive sozusagen. Währenddessen ein richtiger Tanzrhythmus immer genau auf den Punkt kommt, auf die Eins, wo man dann mit dem Fuß aufstampft. So ein Tanzrhythmus muss sehr genau ausgearbeitet sein. Dafür hätte ich gar keine Geduld. Bei mir ist Rhythmus: Drive. Wie in einem Zug, unter dem die Gleise rattern.»
[Conrad Schnitzler, jüngst]


Neulich noch ging das vortrefflich daneben. Robin Meier lancierte zusammen mit dem Filmemacher Noël Dernesch eine feine gesponnene Video-Installation. Mitten im kultivierten Kreis vier labte sich erprobtes Vernissagen-Publikum, bei Champagner und Schnittchen,
an ihrer Interaktion Remember Me. Tragisch nur: Mensch und Maschine erwiesen sich an diesem Abend als zu verletzlich. Laborierten wahlweise an Appendizitis und Systemfehlern. Bange Gesichter. Lange Gesichter. Aller Orte.

Rund fünf Monate später. Robin Meier erzählt beseelt, euphorisch von seinem jüngsten Streich. Sketch la Station. Diesmal Nizza. Getragen von der Vision, eine Brücke zu schlagen. Zwischen Mensch und Tier. Der Rhythmus soll es diesmal richten. Im Mittelpunkt: abermals die Interaktion. Ein wassergespeistes Bassena. Gepulste Information – hüben wie drüben. Allerlei Exoten. Black Ghost Knife, Brown Ghost Knife oder Elephant Fish heißen die denn auch; stehen Pate für dies kühne Ansinnen – im Grenzland zwischen Kunst und Wissenschaft.



Die nächste Etappe nun dies Projektes? Robin Meier bleibt Futurist: «Nun, da ich langsam lerne die Fische zu kontrollieren, wird es bald möglich sein die Tiere als Datenträger zu benutzen. Meint: Informationen speichern, indem ich das Verhalten der Fische ändere. Und eben Informationen abrufen: indem ich ihr Verhalten analysiere. Alsbald ist es also ein leichtes Daten – gleich ob dies nun Bilder, Klänge, was auch immer sein mögen – «in den Fischen» zu speichern und abzurufen.» Nur der Elefanten-Rüsselfisch, mit seiner Passion für Click & Cut-Laute, zeigt sich just noch auf Krawall gebürstet; entzieht sich der Maskerade getrimmter Synthesizer. Robin Meier gibt sich da jedoch ziemlich gelassen: «Den ködern wir auch – früher oder später». Victor Frankensteins Fratze immer vor Augen. Bei Robin Meier wähnt man aber solch Sezieren in guten Händen. Nicht?

Mittwoch, 4. Juli 2007

Ihr habt ja soviel Zeit – eine Straßenumfrage

«Wo freilich alles zerfällt, verrenkt sich auch der Körper mühelos mit. Rohes, Gemeineres, Dümmeres als die Jazztänze seit 1930 ward noch nicht gesehen. Jitterbug, Boogie-Woogie, das ist außer Rand und Band geratender Stumpfsinn, mit einem ihm entsprechenden Gejaule, das die sozusagen tönende Begleitung macht.»
[Ernst Bloch, 1985]

Zürich, an einem Mittwoch-Nachmittag. Nieselregen verfängt sich im Gesicht. Immer wieder. Eher ungemütlich also. Dennoch sind die Straßen wie immer zum Bersten gefüllt. Schließlich lässt man sich in diesen Breiten ungern lumpen. Inmitten all dessen: zehn Streetstyler und ihre gefühlte Zeit. Zehn Momentaufnahmen – zwischen Kreuzstich und Velo-Streife. Die verwegene These? Zeit ist nicht so einfach da; Zeitgefühl schon gar nicht. Lässt sich formen. Lässt also die Liebe zur Musik, die Liebe zu den Tönen das ureigene Zeitgefühl demnach eichen, wie ein ganggenaues Schweizer Uhrwerk? Die Ausgangslage hier scheint günstig wie nirgends: Robert Levine vermaß jüngst in seiner Landkarte der Zeit kurzerhand das globale Zeitgebaren der Großstädter. Mit Platz an der Sonne: die Eidgenossen. Dabei erwies sich nicht nur ihre sprichwörtliche Pünktlichkeit als eigen; auch ihre Schlagzahl ist, entgegen dem Klischee, – gemein mit den Iren – die globale Referenz. Und unterm Strich? Zugegeben, die durchaus launige und geschmäcklerische Selektion vermag dem Ganzen wohl nicht repräsentative Weihen zuteil werden lassen; doch zeigt sie eines: das verwobene Beziehungs-Geflecht – zwischen gefühlter Zeit und geschliffenem Musikverständnis – könnte man durchweg noch enger knüpfen.

Anush



Gefühlte Zeit: -3 Minuten (zur Ist-Zeit)
Musikalisch:
«Ich spiele für mein Leben gerne Didgeridoo, Klavier»
Tanzen:
«Mit Vorliebe»
Gerade im:
«Freizeitstress, zwangsläufig»

Eliane

Gefühlte Zeit: -5 Minuten
Musikalisch:
«Früher so ein bisschen Gitarre»
Tanzen:
«Klar»
Gerade im:
«Stress»

Urs

Gefühlte Zeit: +16 Minuten
Musikalisch:
«Gar nicht»
Tanzen:
«Geht so»
Stress?
«Naja, am Schaffen halt»

George

Gefühlte Zeit: +30 Minuten
Musikalisch:
«Noch nie, nein»
Tanzen:
«Ach ja, schon»
Stress?
«Ich arbeite gerade?»

Simon & Lisa

Gefühlte Zeit. Er: -10 Minuten; sie: -20 Minuten
Musikalisch.
Er: «Als Kind so ein bisschen Blockflöte»; sie: «Nein»
Tanzen. Er: «Sehr gerne»; sie: «Ja, schon»
Gerade: «Freizeit»

Thomas

Gefühlte Zeit: +20 Minuten
Musikalisch:
«Vor Zeiten mal. Querflöte»
Tanzen: «Oh nein»
Gerade im: «Stress. Naja, ein bisschen zumindest»

Monika

Gefühlte Zeit: -5 Minuten
Musikalisch:
«Cello, ganz viel Cello»
Tanzen: «Nein»
Gerade: «Freizeit»

William

Gefühlte Zeit: +9 Minuten
Musikalisch:
«Oh, gar nicht»
Tanzen: «Leidenschaftlich, wohlgemerkt Standard»
Gerade: «Zigaretten-Pause»

Patrick

Gefühlte Zeit: +13 Minuten
Musikalisch:
«Nein»
Tanzen: «Nein»
Stress – Freizeit?: «Nun, weder noch»

Montag, 2. Juli 2007

Âme beim Friseur

«Kraft , Rohheit, Gleichmäßigkeit; das sind Dinge, die einfachste Mechanismen im Körper berühren. Gleich der 4/4-Bassline im Techno: einfachste Muster, auf die wahrscheinlich jeder reagieren wird. Diese basale Wiederholung, angefangen bei deinem Blutkreislauf über die sprachliche Wiederholung in den Lall-Lauten des Babys [...] Minimal-Kram eben. Ich kann das ja überhaupt nur überleben, indem ich ihn mir das zurecht höre; auf die Lücken tanze; die Schläge selbst lösen bei mir keinen Impuls aus. Ich vermute aber, dass das durchaus das Ziel dieser Musik ist. Jeder Schlag unmittelbar in einem Impuls übersetzt werden soll. Eine bestimmte Bewegung. Und im Grunde tanzt man so gerade, wie die Musik auch ist. Vielleicht ist das auch gar nicht so gedacht; man kriegt ein einfaches rhythmisches Gerüst. Den Rest denkt man sich. Interpretiert da die komplexen Tanzschritte rein. Das versöhnt einen mit der geraden Musik. Der gefährlich Aspekt an dieser Minimal-Ideologie ist aber: es wird so getan, als böte sie eine Wahrheits-Garantie. Nach tausenden von Jahren weiß man heute: Je einfacher, desto besser. Die simpelste Struktur trägt bereits die höchste Komplexität. Das scheint mir ein faschistoider Ansatz, den ich nicht akzeptieren kann.»
[Klaus Sander und Jan St. Werner, in «Vorgemischte Welt».]

Das Kreischen macht den Unterschied. Adelt den Moment. Und ist im Kern wohl eine beseelte Liebkosung für den Dramaturgen der Nacht. Rej, aus der Feder des Karlsruher Produzenten-Duos Âme, hatte reichlich davon. Seit grob zwei Jahren nun lässt sich diese Detroit-Ode immer noch aller Orte feiern – gleich ob auf den Hochplateaus der Glückseeligkeit, oder in den Organen elektronischer Lebensaspekte und Clubkultur. Selten vermag ein Stück derart steil im Club zu gehen; obendrein die Grenzmarken zwischen Techno und House so zu kreuzen. Sein Glanz liege in der Schlichtheit. Der eleganten Funktionalität. Dünkt es einen.

Youtube nun featured drei Versionen des Platzhirsches: Adagio, allegro, presto – langsam, mittelschnell, schnell. Wobei beide entschleunigte Kreationen kurzerhand schon um einige Nasenlängen vorn liegen. Wurde der Smash-Hit gar unter Wert verkauft?
Der Grand Prix sei demnach eröffnet. Es bleibt spannend.


Presto



Allegro



Adagio