Dienstag, 16. Oktober 2007

Einer der Krisenherde dieser Tage

«Jeder stampft auf, und jeder tut es auf dieselbe Weise. Jeder schwenkt die Arme, jeder bewegt den Kopf. Die Gleichwertigkeit der Teilnehmer verzweigt sich in der Gleichwertigkeit ihrer Glieder. Was immer an einem Menschen beweglich ist, gewinnt ein Eigenleben, jedes Bein, jeder Arm lebt wie für sich allein [...]. Schließlich tanzt vor einem ein einziges Geschöpf, mit fünfzig Köpfen, hundert Beinen und hundert Armen ausgestattet, die alle auf genau dieselbe Weise oder in einer Absicht agieren. In ihrer höchsten Erregung fühlen sich die Menschen wirklich als eines, und nur die physische Erschöpfung schlägt sie nieder.»
[Elias Canetti, 1960]





Hinterher ist man bekanntlich immer schlauer. Also, dass beim geistigen Eigentum der Spaß passé ist. Die Wahl der Mittel gerne mal entgleitet. Und 24 Songs durchaus 220.000 Dollar kosten. Widerfahren ist dies Jammie Thomas. Allein erziehend, gerade 30 Jahre – und jüngst eben von einem amerikanischen Geschworenen Gericht im Staate Ohio des illegalen Filesharing für schuldig befunden. Ähnlich abseitig: brandaktuelle russische Urheberrechtsansprüche auf das bulgarische Sturmgewehr AK-47. Lakonisch deshalb die Intervention des bulgarischen Künstler Nedko Solakov: auf der diesjährigen Biennale in Venedig deutet er mit seiner Arbeit beiläufig auf das kyrillische Alphabet; das sei schließlich auch in Bulgarien erfunden worden – ohne dass die Russen je Tantiemen entrichtet hätten. Um einen der Krisenherde dieser Tage, dem Copyright, schichtet sich denn auch das Festival Copy! Und zwischen Roboter-Workshops, Sykpe-Konzerten und Panels eben auch: Bodily Functions.
Am Dienstag, den 16.Oktober. Abends, eine Stunde. Ab zehn Uhr. Zwischen Schellak, Schweiß, Sportshirts: DJ Supertobi.

Montag, 1. Oktober 2007

Einigkeit und Recht und Techno

Eine Intervention wider der Stromlinie

Von Conrad Schnitzler
Foto: Andy Rumball

Was für mich Rhythmus bedeutet? Rhythmus wo jeder mit muss. Genau das ist es, was mich ankotzt. In ein Verhalten gezwungen, das ich nicht bestimmen kann. Der Rhythmus also, der beim Hören das Verhalten bestimmt. Die schlimmste Form dabei: der Marschrhythmus. Wenn ich die Jugend in ihren gepimpten Autos an mir vorbei wummern höre, höre ich da nur das wumm wumm der großen Marschtrommel. Ja, die Trommel ruft zum Streite, wie es im alten Kameradenlied heißt. Der Herzrhythmus, die wahrscheinlich älteste Form wiederkehrenden Klangereignisses. Das Pochen des Blutes. Der stoßende Atem beim Dauerlauf. Zusammen wohl die ursprünglichsten Formen suggestiven Taktes. Diese Art der Repetition ist mir vertraut, auch nicht unangenehm. Was ich hingegen von Anfang an nie wollte: Programmmusik betreiben. Musik, die zu irgend eines Nutz und Frommen ist. Also, um Menschen in irgendeine Richtung zu bewegen. Ja, auch Tanzmusik war nie mein Anliegen. Was mir seit den Zeiten des Dritten Reiches am meisten auf den Wecker ging: Massenpsychose. Die findet sich heute im Fußballstadion, genauso wie bei einer Technoparty wieder. Bei allen diesen Begebenheiten ist der suggestive, repetitive Rhythmus im Spiel. Diese Art des Seins ist nicht mein Ziel.


Conrad Schnitzler: «
In eine weite freie Landschaft entlassen»

In meiner Musik gibt es natürlich auch Rhythmics. Manchmal auch bewusst, die von mir so Verachtete fürs Mitklopfen, Mithüpfen. Die will ich als Proben verstanden wissen. Als Teststücke, um zu klären, was es denn auf sich hat, mit dem Phänomen der Massensuggestion. Wenn man meine Liste der Solo-Rhythmics durchhört, weiß, zu welchem Zwecke diese von mir hergestellt wurden, wird vieles klarer. Es geht also nicht um Massensuggestion. Ich betrachte eher sie als Drive im Klangeschehen. Sie sind nicht dazu gemacht um alle im selben Takt zu bewegen. Nicht, die viertel, halben oder ganzen Schlagzeiten zu betonen. Um alle im selben Schwung zu bewegen. Nein, die Materie in dem sich die Rhythmik bewegt, bleibt völlig unbeeinflusst von der rhythmischen Textur. Ungefähr als ob Menschen, die in einem Fahrzeug sitzen, stehen, liegen, sich absolut nicht um die Fahrtrhythmik kümmern. Oder ist es üblich, in der U-Bahn, wo auch immer, im Takt der Räder, der Geräusche mitzutanzen? Etwa so muss man sich meine Vorstellung von Rhythmik im Kosmos der freien Töne vorstellen. Sie ist genau so frei von den ihn umgebenden Tönen, wie die Töne sich nicht nach dem Drive richten müssen. Man stellt ja immer wieder fest, wie albern es aussieht, dass die Deutschen im Rockkonzert nicht in der Lage sind, den richtigen Handclap hinzubekommen. Anders als beispielsweise die Briten. Meine Landsleute können eben nur Marschmusik. Und um das zu durchbrechen, haben wir Techno erfunden. Da zappelt jeder nach seiner Facon. Wie wir alle wissen nach der Befreiung der Tonalität zur Atonalität durch Arnold Schönberg, wurde die Rhythmik durch Igor Strawinsky mit seinen Grenzüberschreitungen
wie in Sacre du Printemps von allen Zwängen in eine weite freie Landschaft entlassen. Damit brach die Emanzipation des Rhythmus, die seit Jahrhunderten geltenden Regeln der Taktrhythmik.

In der Popmusik sind aber immer noch die primitiven rhythmischen Strukturen üblich. Sie neigt nicht zur Kunst, sondern zum Kommerz – also zur Massenpsychose. Der 3/4-Takt, wie An der blauen Donau eines Johann Strauß. Der 4/4-Takt der Nationalhymne: Einigkeit und Recht und bla bla bla. All das interessiert mich nicht. Schon eher ein Take Five des Dave-Brubeck-Quartetts, mit seinem 5/4-Takt: bam, bam, bam bam bam bam. Die Klopfspechte taten ihr Übriges, dass die Menschen zur Maschine tanzen. Sie haben sich vom unerbittlichen Geklopfe der kleinen Rhythmusteufelchen einfangen lassen. Zu meiner Verwunderung muss ich gestehen, einer der ersten gewesen zu sein, der solch Klopfgeister benutzte. Davon zeugen meine Alben: Rot, Blau. Ganz besonders mein Stück Zug. Allerdings ist sehr genau zu hören, dass es sich nicht um die oben beschriebene Suggestion zur Massenpsychose handelt, sondern eben um diesen Drive: im Zug sitzen und die Landschaft sich bewegen zu sehen. Oder Ballet Statik, der innere Tanz, während der Körper sich ruhig verhält. Warum allem hinterher jagen? Aber ich will hier nicht das Tanzen verbieten, verteufeln. Es ist einfach nur nicht das, was ich herstellen möchte.

Conrad Schnitzler, geboren 1937, lebt und arbeitet im idyllischen Dallgow-Döberitz unweit von Berlin. In seinem Leben suchte er vornehmlich das Weite. Gleich, ob er nun zur See fuhr. Mit Joseph Beuys gemeinsame Sache machte. Oder mit seiner Bande »Kluster« die kalte Aura klappernder Fabrikhallen elektrifizierte – und so im vorbeigehen der Populärmusik die Avantgarde vor die Füße schmiss.