Montag, 25. Juni 2007

«Für einen guten Song: lass das Denken sein»

Will Schwarz sieht müde aus. Wie er da steht. In seinem neon-grünen Sweater. Wer sollte es ihm aber verdenken. Schließlich hat er die letzte Nacht kein Auge zugetan. Einquartiert in eine bessere Absteige. Gesäumt von barbusigen Frauen, die in den Vitrinen ihr Fleisch feil bieten. Im sonst so polierten Zürich. Kurze Zeit später mimt er auf der Bühne reichlich glamourös das Schaf im Wolfspelz. Zuvor jedoch wird er zum ersten Mal an diesem Abend schallend Lachen. Und man ist sich gewahr: Dieser Mann hat einen Narren an Rhythm & Blues gefressen. Und zum Dessert noch einen Clown verspeist.

Will Schwarz – Kopf der Combo Hey Willpower – über die gute Seele des Rhythm & Blues'.

Wie kommt denn die Sexualität in den R'n'B?

Also, ich kann da wohl nur mutmaßen; schließlich hab ich mir dieses ganze Genre nicht ausgedacht.
Aber es rührt wohl von dieser verwobenen Einheit, aus polierten Beats und klebrigen Melodien; dem Bewusstsein von Sexualität und Sinnlichkeit. Zudem kreist R'n'B mit Vorliebe um Love-Songs.
Beats plus Love-Songs – das ergibt nun mal Sexualität.

Auch wuchtet ja kaum ein zweiter Musik-Stil derart die Köperlichkeit in den Vordergrund.

Rock 'n' Roll mag da noch in ähnlicher Weise wirken, speiste sich aber bekanntlich aus dem Rhythm & Blues. Die Ursuppe köchelte da wohl in der frühen ersten Hälfte den 20. Jahrhunderts. Vagabundierende Singer-Songwriter, wie Robert Johnson oder Billy Holiday, packten ihr ganzes Leben in einen Song. Gleich den Boogie-Woogie-Protagonisten. Gleich all den Blues-Sängern dieser Tage.

Kurz: Soul.

Exakt. Und wo immer das Leben in seiner Tiefe zu finden ist, spiegelt sich eben auch reichlich Sexualität. Die Verpackung mag da keine große Rolle spielen. Es geht um Wahrhaftigkeit. Eben Soul.

Meist jedoch üppig glamourös inszeniert. Ist R'n'B nicht immer auch ein Versprechen auf eine bessere Zukunft?

Wenn man sich den gegenwärtigen Output so ansieht, dominiert da der Schmalz: es geht um Herzschmerz, eine neue Liebe – eben diese universellen Dinge, die unser Leben würzen. R'n'B scheint hierfür wie geschaffen; Rhythmus und Melodie in ihm ideal vereint. Deshalb auch Hey Willpower. Zusammen mit meinem Freund Tomo bilden wir das Fundament; bauen beide die Beats.
Die restliche Staffage, also Komposition samt Poesie, fällt hingegen mir zu. Anfänglich war mir noch daran gelegen, das Ganze ein bisschen undefinierter zu halten. Etwas Abseitiger. Ich merke jedoch schnell: so will das in diesem Kontext nicht funktionieren. Ohne Klischees verpufft das; beinahe wirkungslos.

Nun unterscheidet ihr euch aber ja dennoch vom großen Rest des R'n'B-Zirkus. Ihr mimt ja in gewisser Weise das Schaf im Wolfspelz. Funktioniert das denn dennoch auf dem Dancefloor – trotz Persiflage?

Es spielt ja schon eine gewichtete Rolle, in welchem Kontext das geschieht. In unserem Fall ist das nun gerade Tomlab; bekanntlich ein Label mit großer avantgardistischer Schlagseite. Hätte Hey Willpower nun bei einem Major angeheuert – unser Subtext, all das Unterschwellige, hätte mit Sicherheit nicht diese Relevanz. Wir wären wohl gerade ein weiterer R'n'B-Stern am Firmament – wie Robin Gibb, Justin Timberlake – wer auch immer.


Will Schwarz (2.v.l), neben Partner Tomo:
«
Rhythmus und Melodie ideal vereint»


Das große Moment, auf einem kleinen Label zu fußen ...

Ja. Das spielt natürlich gerade eine große Rolle. In der Art, wie wir just präsentiert; wie wir wahrgenommen werden. Tomlab trägt die Vision, Pop mit der Avantgarde auszusöhnen. Und das deckt sich wunderbarerweise gerade mit unserem Credo. Wir möchten jedoch nicht im Hier und Jetzt verhaften. Hey Willpower nun ist nicht auf alle Zeit auf Beschaulichkeit geeicht. Es könnte auch gut und gerne groß werden. Richtig groß. Ohne dass sich dabei das Wesen von Hey Willpower ändern müsste.

Vor allem im Süden der Vereinigten Staaten gedeiht gerade Crunk; eine grobe Mixtur aus klebrigem Soul, frisierten Beats. Bei Euch spielt sich das so genannte crunking denn eher subtil ab.

Eine Menge davon tummelt sich gerade in Atlanta. Von Protagonisten wie Lil' John. Ich schneide mir da auch immer mit Vorliebe eine Scheibe von ab. Um es dann auch durchaus sehr eigen zu akzentuieren.

So richtig als Pop gebären sich in den Vereinigten Staaten gerade Slow Jams. Getragen. Langsam.

In der Tat: Balladen sind hier gerade wieder enorm populär. Quer durch all die Pop-Radios finden sich immer einige Slow-Jam-Hits auf Heavy-Rotation. Dennoch ist das Ganze ja kein wirklich frisches Phänomen; Entschleunigte, sexy Songs zirkulierten stetig.

Sie mögen so etwas, nicht?

Ja. Ich höre ab und an gerne etwas Kitsch. Und wenn ich es mir recht überlege: Die Pop-Welt speist sich gerade satt aus allerhand Prince-Versatzstücken: P. Diddy bediente sich in seinem Duett der klassisch-zarten Prince-Drums, wie sie beipielsweise in Pop Life zum Tragen kommen – oder eben Ciera: in ihrem aktuellen Smash-Hit Promis. Bahn brach sich diese Kaste wohl in den 1970er Jahren: mit reichlich weichen Balladen und überschwänglichem Soul. Und vor allem: Prince!

Heute wie damals war ja eine Nation vom Krieg gebeutelt. Und wie es scheint durchaus harmoniesüchtig.

Oh ja. In der Tat sehnte sich ja damals eine Nation nach Heilung des Vietnam-Traumata. Nicht zu vergessen: die amerikanische Bürgerrechts-Bewegung, um ihren musikalischen Fixstern Marvin Gay. Mit seinem stetigen Anklagen, inmitten all der Sanftmut und Sinnlichkeit. Nehmen wir doch nur sein Stück Whats going on beipielsweise; dieser wuchernde Sexappeal!

In eurem Stück Phenomenon klingt das so trefflich:
As long as you move your body close to me
I think its time we take it down below
Don't wanna move too fast Better take it slow
Läßt sich denn auf einen Song ummünzen: Je langsamer, desto mehr Sexappeal?

Nicht zwangsläufig. Das hängt natürlich noch von ganz anderen Faktoren ab. Also, wie viel Glamour eine Melodie intus hat. Wie zwingend ein Beat maschiert. Und wie tollkühn die beiden Dinge eben zusammen funktionieren.

Im besten Fall eben mehr als die Summe der einzelnen Teile.

Genau. Die Kombination macht einen Song eben magisch. Dafür gibt es aber keine Formel soweit ich weiß.


Mit Peaches:
«So etwas gibt es natürlich nicht umsonst»


Der Vater von Beyoncé, Matthew Knowles, hatte unlängst eine Parat: 25 Mal müsse ein Liedtitel in einem R'n'B-Stück wiederholt werden – erst dann gereicht er zum Hit.

Oh! Das ist gut. Von Beyoncés Vater stammt das? Wow. Ich sollte mir das besser merken. 25 Mal ...
Das könnte sich aber durchaus als goldene Formel herausschälen:

(singt 'Say My Name' von Destiny's Child)
Say my name
Say my name
You acting kind of shady

Ain't callin me baby
Why the sudden change

Say my name

Say my name

...
Yeah!

(singt nun 'Me, Myself and I' von Beyoncé Knowles)
And it's just me myself and i

And it's just me myself – and i

...
ob ich das wohl ähnlich angehe?

(singt aus seinem Stück 'Magic Window')
I wanna be your magic window

I know the kind of boys you're into
I wanna be your magic window
Tell me the kind of boys you're into

...
Wie es aussieht, singe ich den Titel wohl einfach nicht oft genug!

Das mag vielleicht der Grund sein, warum sie heute hier in Zürich in der Zukunft, spielen. Und nicht in Manhatten's Carnegie Hall.

Ich würde für mein Leben gerne in der Carnegie Hall spielen! Das können sie mir glauben.

Vor einiger Zeit brachte es mal jemand auf den Punkt: Mary J. Blige, die Schutzpatronin des modernen R'n'B, sei dramatischer als Heiner Müller. Wahrhaftiger als ein Konfirmand. Woher rührt denn auch diese Tiefe?

Das Gros moderner R'n'B-Pop-Songs wird ja für den Dancefloor maßgeschneidert. Sie sollen Glück stiften. Zum Tanzen regen. Kurz: den Leuten einfach eine gute Zeit bescheren. Und dann gibt es da eben noch Säulenheilige wie Mary J.Blige. Mit Stücken voller Trauer. Liebeskummer. Selbst- Reflektion. Was auch immer. In jedem Falle: Aufrichtigkeit. Es finden sich selbstredend eine ganze Schar, für die dieses Gebaren schlicht zu trivial. Zu uncool ist. Aber wenn du dir ihre Bühnenschau zu Gemüte führst; ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie man diese Tiefe nicht fühlen kann! Da passiert etwas sehr Wertvolles. Weil es so authentisch ist. Fern jeder baren Marketing-Strategie. Und diese Erscheinung ist nur sehr wenigen Künstlern vergönnt.

Für Mary J. Blige mag R'n'B dann therapeutisch wirken.

Lustigerweise begegnete ihr diese Frage erst kürzlich. Zu Gast in der Oprah Winfrey Show. Und sie meinte: „Für mich besitzt meine Musik exakt diese Funktion.“ R'n'B scheint also durchaus heilenden Charakter zu besitzen, ja.

Verhält es sich denn ähnlich, bei dir?

Jeder gute Song von dir ist eine Berührung mit deinem Unterbewusstsein. Denn um ihn zu komponieren, musst du das Denken sein lassen. Dich ganz deinen Gefühl hingeben. Und es macht mich wirklich rundum glücklich, wenn ich mit einem gezimmerten Stück wieder auftauche – in dem Bewusstsein: er ist gelungen! Der die Anlagen hat, Menschen einfach Glück zu bescheren. So etwas macht mich wirklich glücklich. Auf der anderen Seite gib es so etwas nicht umsonst.
Das zieht natürlich auch jede Menge Leid mit sich. Frustration. Aber das ist wohl das Leben.

Der Glück bringende Gospel-Moment.


Gelegentlich. Ja! Wir schälen oftmals zuerst die Vocal-Parts bei unseren neuen Stück heraus.
Und da stellt sich da im besten Falle genau dieser Gospel-Moment ein. Ein Moment voller Glückseligkeit und Emotionalität.

Pop arbeitet sich ja auch, beinah krampfhaft, an diesem Gefühl ab.

Ich bin ja auch beinah nach diesem Pop-Gefühl süchtig. Und liebe die glatte Politur. Am spannendsten wird es jedoch, wenn sich dazu noch ein schräger Moment gesellt. Also, wie in diesem Indie-Hit von Peter, Björn und Mary. Und diesem herrlichen Pfeifen. Oder natürlich all die großen Chansons des alten Meisters Serge Gainsbourg.

Bist du dir denn auch über die Funktionalität deiner Stück im Klaren?

Nein. Nicht wirklich. So etwas läuft bei mir wohl unterbewusst ab. Und spielt eher bei Produzenten eine Rollen, die sich ihr Instrumentarium wie Werkzeuge parat legen. Aber ich zerbreche mir darüber selten den Kopf. Die Wissenschaft dessen erschöpft sich da wohl zumeist bei Leuten wie Autechre. Die Jungs lassen ja Noten nach Zahlen tanzen, nicht? Was mich wirklich interessiert ist der Song. Und das Gefühl dazu. Und wenn das gut ist, ist es der Song zuallermeist auch. Ich arbeite eben lieber mit meinem Bauch, als Algebra.


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